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Todeszug von Mühldorf

Ereignis (Lat: 48.1714; Long: 11.8089)

Der Todeszug von Mühldorf

Der beschauliche Bahnhof von Poing im Frühjahr. Schwer vorzustellen, dass hier in den letzten Kriegstagen des 2. Weltkriegs ein grausames Massaker an KZ-Häftlingen stattgefunden hat.

Immer verheerendere Angriffe der alliierten Luftflotten zwangen die deutsche Rüstungsindustrie ab 1944 dazu, Produktionsstätten in abgelegene Gegenden zu verlegen. In unterirdischen Fertigungsanlagen, Tunnels und Wäldern, wo man vor der feindlichen Luftaufklärung sicher war, sollten Flugzeuge und anderes Kriegsmaterial hergestellt werden.

In der Nähe von Mühldorf wurde in einer Bunkeranlage ein Außenlager vom KZ Dachau mit 3.600 Häftlingen eingerichtet. Hier sollte der erste Düsenjäger der Welt - die ME 262 produziert werden. Die Nazis waren überzeugt, dass diese "Wunderwaffe" wesentlich zum "Endsieg" beitragen würde. Als die Alliierten im Frühjahr 1945 immer weiter vorrückten, ließ die SS zahlreiche KZ räumen. Die Häftlinge wurden gezwungen, in langen kräftezehrenden Märschen in noch unbesetzte Regionen zu ziehen. Wer zu schwach war, die Strapazen eines solchen Marsches durchzustehen, wurde kurzerhand erschossen.

Eines dieser Lager war das KZ in Mühldorf-Mettenheim. Am 25. April verließen die Häftlinge das Außenlager und marschierten zunächst nach Ampfing, wo sie zum Weitertransport in 80 Viehwaggons gepfercht wurden. Der Zug hatte eine Länge von einem Kilometer. Die Fahrt sollte über Poing nach München gehen und von dort in das Gebiet südlich und westlich des Starnberger Sees. Wegen eines Maschinenschadens der Lok blieb der Zug am 26. April in Poing liegen. Am Tag darauf, dem 27. April 1945, kam es unter den 3.600 entkräfteten und verzweifelten Häftlingen, die ohne Wasser und Nahrung in die Viehwaggons eingepfercht waren, zu einem Aufstand. Da die Bewacher nicht wussten, wie sie die Situation wieder unter Kontrolle bekommen sollten, öffenten sie die Türen der Waggons. Auf der Suche nach etwas Essbarem schwärmten die befreiten Häftlinge ins umliegende Gelände aus. Einige Bauern hatten Mitleid mit den ausgezehrten Gestalten und gaben ihnen zu essen. Ein Überlebender, der damals 14-jährige Leslie Schwartz, hat 2012 in einem Interview berichtet, wie er von der Bäuerin Barbara Huber Milch und Brot bekam. Einzelne Gefangene, wie etwa der vierundzwanzigjährige Berliner Jude Arnold Wachtel, schafften es bis nach Anzing. Wachtel fand Unterschlupf auf einem dortigen Bauernhof.

Der damalige Bürgermeister von Poing rief jedoch eine Einheit der Luftwaffe zu Hilfe, die in der Schule einquartiert war. Unter Befehl eines Luftwaffen-Offiziers namens Lothar Windmüller machten die Soldaten gemeinsam mit Einheimischen förmlich Jagd auf die Entflohenen. Mehr als 50 Häftlinge starben, viele wurden verletzt. Schwartz traf eine Kugel in den Hinterkopf und trat an der Wange wieder aus.

Schließlich konnte der Maschinenschaden an der Lok behoben werden. Auf der Weiterfahrt zum Münchner Südbahnhof beschossen jedoch alliierte Jagdbomber die Waggons, weil sie den Zug für einen Munitionstransport hielten. Endlich am 29. bzw. 30igsten April 1945 konnten Amerikaner die Gefangenen bei Seeshaupt und Tutzing befreien. An dem Tag nahm sich Hitler im Führerbunker das Leben. Eine Woche später kapitulierte Deutschland.

Die Vorgänge um den Todesmarsch von Mühldorf wären fast in Vergessenheit geraten, hätte nicht ein Geschichtsprojekt am Franz-Marc-Gynasium in Markt-Schwaben wieder die Erinnerung daran geweckt. Ein Denkmal des in Poing ansässigen Künstlers Karl Orth, das man am S-Bahnhof Poing sehen kann, erinnert seit 2014 an die Vorgänge kurz vor Kriegsende.

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